Ist die BBC am Implodieren?
Nach ein paar hektischen Tagen, in denen sich die Ereignisse in der BBC und um sie herum regelrecht überschlugen, stellen sich manche die Frage, ob der renommierte öffentlich-rechtliche Sender am Implodieren ist.
Als Institution ist es die BBC nicht, hingegen wird ihre komplizierte, schwerfällige und oft undurchsichtige Management-Struktur, der ein Teil der Fehlleistungen angelastet werden muss, die jüngste Krise kaum überleben.
Zur Erinnerung: Im November 2011 sagte die TV-Sendung Newsnight auf BBC2 einen geplanten Bericht über Vorwürfe sexueller Belästigung von Minderjährigen und Kindern durch den verstorbenen BBC-Star-Moderator Jimmy Savile ab. Im Oktober 2012 sendete dann der Privatsender ITV eine Sendung mit ähnlichen Vorwürfen, was die Frage aufwarf, ob Newsnight seinen Beitrag unterdrückt hatte, weil im Dezember 2011 im BBC-Weihnachtsprogramm Spezialsendungen über Savile geplant waren (und dann auch ausgestrahlt wurden). Am 2.November nun sendete Newsnight einen Beitrag mit Kindsmissbrauchs-Vorwürfen gegen einen nicht namentlich identifizierten hochrangigen konservativen Politiker der Thatcher-Ära. Sogleich begann die Gerüchteküche im Internet zu brodeln, und der in Blogs und Tweets genannte Lord Alistair McAlpine wies öffentlich die gegen ihn gerichteten Anschuldigungen ab. Nun droht er mit rechtlichen Schritten. Newsnight hatte weder dem im Beitrag interviewten Mann, der als Heimkind schwer missbarucht worden war, ein Foto des von ihm inoffiziell Identifizierten gezeigt, noch eine Stellungnahme von Lord McAlpine eingeholt. Ein paar Tage nach der Sendung wurde dem Interviewten von anderer Seite ein Foto von McAlpine gezeigt, worauf dieser reumütig beteuerte, der Lord sei nun doch nicht sein Peiniger gewesen. Der Beitrag wurde rundherum als Schlamperei bezeichnet, und am 10.November trat der neue BBC-Generaldirektor George Entwistle nach nur 54 Tagen im Amt zurück.
Ein übers letzte Wochenende vom Chef von BBC Scotland, Ken MacQuarrie, blitzschnell verfasster Bericht hat nämlich riesige Schwächen im Management-Apparat der BBC indentifiziert. Seine Untersuchung ist nur eine von vielen, die im Zusammenhang mit der Savile-Affäre, nicht nur bei der BBC, durchgeführt werden.
MacQuarrie's Bericht, der erst nach abgeschlossenen internen Disziplinarverfahren in vollem Umfang veröffentlicht werden soll, kam zu folgenden Schlüssen: Weil Newsnight-Chef Peter Rippon wegen der Untersuchung der Gründe, warum der Beitrag vom November 2011 fallengelassen wurde, suspendiert wurde, und eine seiner Stellvertreterinnen die BBC inzwischen verlassen hat, sei die Management-Struktur der Sendung entscheidend geschwächt gewesen. Rippon wurde nach seiner Suspendierung interimistisch ersetzt. Wegen derselben Untersuchung, die auf Wunsch der BBC vom ehemaligen Sky-News-Chef Nick Pollard durchgeführt wird, hatten sich Nachrichtenchefin Helen Boaden und ihr Stellvertreter Steve Mitchell von der Verantwortung für alle zukünftigen Savile-verwandten Beiträge entbinden lassen, nicht aber vom sonstigen Nachrichtenbetrieb. Für Savile-verwandte Themen wurden interimistisch andere BBC-Leute abkommandiert.
Fazit: Es gab de facto 2 separate Nachrichten-Management-Strukturen, eine für Savile-verwandte Themen und eine für alle übrigen. Laut MacQuarrie waren sich die Produzenten des zweiten Newsnight-Beitrags, der zu den falschen Anschuldigungen gegen Lord McAlpine führte, bis zuletzt nicht sicher, ob für ihre überstürzte Recherche nun die Savile- oder die nicht-Savile-Hierarchie zuständig war. Inzwischen waren der BBC wegen all der Suspendierungen und Abkommandierungen sämtliche erfahrenen Manager ausgegangen, und es kam soweit, dass man den Chef von BBC-Northern Ireland, Peter Johnston, in den Entscheid, ob der fatale Beitrag gesendet werden sollte, mit einbezog. Ob er das allerletzte Wort hatte, ist noch nicht klar. Weil inzwischen nun auch Boaden und Mitchell suspendiert wurden, sitzen überall an den entscheidenden Stellen Manager, welche von sonstwo abkommandiert wurden und interimistsich eingesgetzt sind.
Selbst der Posten des Generaldirektors ist seit dem Wochenende intermistisch besetzt, nämlich durch den Chef Audio und Musik, Tim Davie. Davie hat keine journalistische Erfahrung, was insofern problematisch ist, als der Generaldirektor der BBC gleichzeitig CEO und Chefredaktor ist. Davie, der früher einmal bei PepsiCo Grossbitannien fürs Marketing zuständig war, hat allerdings die Schwächen der Managament-Struktur sogleich erkannt und diese -- zumindest vorläufig -- vereinfacht. Ein grosses Problem bei der BBC ist die übermässige Hierarchisierung. Das führt etwa dazu, dass die Informationschefin, auch wenn sie diesen Titel trägt, oft nicht genau weiss, was ihre Untergebenen treiben. Ausserdem wird sehr viel an die Leiter einzelner Sendungen delegiert. Das mag auch teilweise erklären, weshalb Generaldirektor Entwistle bei seiner Befragung durch eine parlamentarische Kommission und in Interviews zugeben musste, dass alles, was schliesslich zum Skandal führte, schlicht an ihm vorbei ging. Allerdings fragte er nach eigenen Abgaben auch nie selbst nach.
Bleibt zu hoffen, dass Tim Davie oder sein/e Nachfolger/in mit der Vereinfachung des Management weiterfährt, um die BBC nicht jenen zu überlassen, die der angesehene Newsnight-Moderator Jeremy Paxman treffend als Sesselkleber identifiziert hat.
Als ehemaliger BBC-Mitarbeiter erinnere ich mich nur allzu gut an die strikte Hierarchie. Ein Beispiel: Im Team, dem ich zuletzt im Newsroom von BBC World Service Radio vorstand, gab es Mitarbeiter in 4 Lohnklassen: Broadcast Journalists ("gewöhnliche" Journalisten, Senior Broadcast Journalists (erfahrenere Journalisten), Duty Editors (Journalisten mit noch etwas mehr Erfahrung, welche die Arbeit der anderen überprüfen durften), und einen Team Leader oder eine Team Leiterin. Das allein verwundert vielleicht nicht. Eher ungewöhnlich mag die Tatsache erscheinen, dass man sich für jede dieser Lohnklassen bewerben musste, und nicht aufgrund seiner Erfahrung oder einer guten Qualifikation in die höhere Lohnklasse nachrückte. Im Bewerbungsgespräch (vorausgestzt, man hatte es in die engere Auswahl geschafft, denn es gab jeweils nur eine beschränkte Anzahl "Jobs") sass man 3 Befragern gegenüber, welche ihr Urteil ausschliesslich auf die Leistung im Gespräch abstützen und die bisherige Arbeit der Bewerber nicht in Betracht ziehen durften. So besteht die Gefahr, dass jene bevorteilt sind, die sich gut verkaufen können, und nicht immer die Bestqualifizierten.
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