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Höchste Zeit für Medienunterricht?

An einer Schule in Taunton, im Südwesten Englands, lernen Schüler neuerdings, wie sie es vermeiden können, in sozialen Medien Andere zu verleumden.  Ist es nicht doch endlich an der Zeit, in allen unseren Schulen das Fach „Medienkunde“ einzuführen?

Ausgelöst wurde die Initiative durch den Fall Lord McAlpine. Die BBC hatte im November eine TV-Recherche ausgestrahlt, in der ein nicht namentlich identifizierter hochrangiger konservativer Politiker beschuldigt wurde, pädophil zu sein und sich an Heimkindern vergangen zu haben.  In den Stunden vor der Ausstrahlung jagten sich zunehmend Gerüchte auf Twitter, so dass der Beschuldigte unschwer als der 70-jährige Lord Alistair McAlpine, ein Berater der ehemaligen Premierministerin Margaret Thatcher, erkannt werden konnte.

Zu dumm nur, dass die BBC einer Verwechslung zum Opfer gefallen war.  Blöd und zudem schwerwiegend, denn McAlpine drohte, die BBC zu verklagen.  Man einigte sich aussergerichtlich, und die BBC zahlte dem Politiker Schmerzensgeld in Höhe von £185‘000, zuzüglich Kosten.  Aber McAlpine drohte nicht nur der BBC mit einer Klage, sondern all denen, einschliesslich einiger Prominenten, die ihn auf Twitter selbst oder mit einem Retweet verunglimpft hatten.

Das hat sich die Privatschule in Taunton zu Herzen genommen und ihre bereits bestehende Einführung in den Umgang mit dem Internet ausgeweitet.  Neu lernen 13- und 14-Jährige nun die rechtlichen Grundlagen in Sachen übler Nachrede und Verleumdung, und wie man sich auf Twitter, Facebook und anderen sozialen Netzwerken verhält, ohne Schadenersatzforderungen zu riskieren.

In letzter Zeit ist die Illusion zunehmen verflogen, dass man sich in den sozialen Medien in einem rechtsfreien Raum bewegt.  Hier in Grossbritannien sind bereits einige Menschen aufgrund von widerrechtlichen Tweets, etwa rassistischer Bemerkungen, verurteilt worden. Dazu kommt der ganze Bereich Cyber-Mobbing.

Twitter birgt auch andere Gefahren in sich, die sogar die öffentliche Wahrnehmung beeinflussen können.  Ich erinnere an einen Zwischenfall in der Endphase der Kampagne für die irische Präsidentschaftswahl vom Oktober 2011.  Vor der letzten TV-Debatte im öffentlich-rechtlichen Sender RTÉ lag der Unabhängige Seán Gallagher in den Umfragen weit voraus.  Während der Debatte wurde Gallagher vorgeworfen, er sei gar nicht unabhängig, sondern habe heimlich Geld für die diskreditierte Fianna-Fáil-Partei, welche Monate zuvor die Parlamentswahl verloren hatte, gesammelt. Nach einem Werbeblock verlas Moderator Pat Kenny dann einen Tweet, der eine Pressekonferenz eines Mitglieds der irisch-republikanischen Partei Sinn Féin zu einer angeblich beobachteten Geldübergabe an Gallagher ankündigte.  Bloss stellte sich der Tweet nach der Debatte als Fälschung heraus.

Gallagher verwickelte sich nach dem Verlesen des Tweets in Widersprüche, und es war der Wendepunkt der Kampagne:  Seine Umfragewerte sackten ab, und Michael D.Higgins wurde zum Präsidenten gewählt.  Hat also ein gefälschter Tweet die irische Präsidentschaftswahl beeinflusst oder gar entschieden? Man wird es nie genau wissen, aber der Vorfall zeigt ganz klar die Gefahren des unsorgfältigen Umgangs mit Twitter auf.

Nun bin ich nicht erst seit den Ereignissen um Lord McAlpine, Séan Gallagher und anonymer Verleumder der Meinung, dass es an den Schulen ein Fach „Medienkunde“ geben sollte.  Schon lange bin ich dafür, dass man auch in der Schule, nicht nur zu Hause, lernen sollte, wie man mit Information umgeht.  Man würde somit lernen, nicht bloss informiert zu werden, sondern sich zu informieren. Man würde im Vergleich von Medien feststellen, dass in einem Organ oft nur eine selektive Teilwahrheit vermittelt wird, und dass man sich die Annäherung an die volle Wahrheit – was das auch immer sein mag — wie ein Puzzle selbst zusammenstellen muss.  Man würde lernen, nach Quellen zu fragen, und ob ein Bericht etwa in jemandes Interesse liegt, und wenn ja, in wessen.  Man würde lernen, wie und wo man sich vertiefter über ein im Leibblatt nur gestreiftes Thema informieren könnte.  Man würde lernen, sehr skeptisch zu sein, und immer wieder zu hinterfragen.

Das Thema Medienkunde ist nicht erst seit Twitter, Facebook und dem sogenannten Citizen Journalism, bei dem jeder und jede „JournalisIn“ ist, aktuell, aber deren Wesen und Reichweite machen die Einführung eines solchen Fachs an unseren Schulen um so notwendiger und dringender.

 

Copyright 2013 Peter Miles

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Tod einer Krankenschwester

Jacintha wurde Mitte der 60er-Jahre in Valencia, einem Quartier der Hafenstadt Mangalore, im Südwesten Indiens geboren.

Nach Abschluss ihrer Ausbildung zur Krankenschwester arbeitete sie einige Jahre in Mangalore, bevor sie Indien verliess und nach Oman zog.  1993 heiratete sie den Buchhalter Bendict aus der Ortschaft Shirva, das nicht unweit ihres eigenen  Heimatorts liegt.  Vor ungefähr 10 Jahren zog das Paar mit Sohn und Tochter nach England.  Jacintha arbeitete zuerst in der südwestlichen Stadt Bristol, und fand vor etwas über 4 Jahren eine Stelle im King-Edward-VII-Spital in London.  Wenn sie Dienst hatte, wohnte sie in einer Personalwohnung in London.  Das Krankenhaus ist eines der kleinsten des Landes, gleichzeitig aber eines der renommiertesten, denn es wird von Mitgliedern der königlichen Familie benützt, zuletzt von der schwangeren Frau von Prinz William, Kate, die dort wegen akuter Schwangerschaftsübelkeit behandelt wurde.

In den frühen Morgenstunden des 5.Dezember, um etwa 0530 Uhr, klingelt im King Edward VII das Telefon.  Jacintha hat Nachtdienst, und weil um diese Uhrzeit niemand an der Rezeption sitzt, beantwortet sie den Anruf.   Eine weibliche Stimme gibt sich als die Britische Königin aus.  Sie möchte sich nach dem Gesundheitszustand ihrer Enkelin erkundigen, sagt die Frau, während im Hintergrund jemand bellend die Corgis der Königin imitiert.  Jacintha antwortet höflich und leitet den Anruf an eine andere Schwester weiter.  Diese vermittelt der vermeintlichen Königin vertrauliche Einzelheiten zu Kates Befinden.

Stunden später spielt der australische Radiosender 2Day FM in Sydney triumphierend die Aufzeichnung des Telefongesprächs ab.  Für die Moderatoren Mel und Michael, die das Gespräch mit dem Spital aufgezeichnet haben, ist es eine Sternstunde, ein Meilenstein in ihrer jungen Karriere.  Nie hätten sie gedacht, dass sie das königliche Krankenhaus hereinlegen könnten, dazu noch — wie sie selbst sagten — mit kaum verstecktem australischem Akzent.  Der kontroverse Sender, bekannt für seine Streiche, sonnt sich im Erfolg, und wirbt auch auf seiner Webseite für die Aufnahme.  Das „Interview“ macht international Schlagzeilen.

48 Stunden nachdem sie den Anruf entgegengenommen hat, ist Jacintha tot.  Niemand zweifelt daran, dass sie sich das Leben genommen hat, auch nicht daran, dass der Trickanruf von 2Day FM dabei zumindest eine Rolle gespielt hat.  Wie muss sich Jacintha gefühlt haben, als ihr klar wurde, wie weltweit über sie gelacht wurde?  Hat sie sich geschämt, für sich selbst, aber auch für das Spital, in dessen Namen sie den Anruf entgegennahm?  Fühlte sie sich Kate und dem Spital gegenüber schuldig, dass vertrauliche Daten publik gemacht wurden?  Kam sie sich blöd vor, dass sie auf den Trick hereingefallen war?  Dabei hatte sie doch nur das Beste für alle gewollt, für Kate und für ihre Familie.  Sie war sicher stolz, in diesem renommierten Krankenhaus zu arbeiten, stolz, an Kates Pflege beteiligt zu sein.  Wie konnte man so etwas wieder gut machen? Konnte man das überhaupt wieder gut machen?  Jacintha muss sich sehr gequält haben.  Am Freitagmorgen, um die 0930 Uhr, wird sie in ihrer Personalwohnung aufgefunden. Jede Hilfe kommt zu spät.

In den kommenden Stunden oder Tagen beginnt die gerichtsmedizinische Untersuchung, die in England bei unnatürlichen Todesfällen obligatorisch ist.  Die Schuldzuweisungen haben aber bereits begonnen.  Am härtesten kritisiert werden die beiden Moderatoren von 2Day FM, aber auch deren Vorgesetzte, die das Ausstrahlen der Aufnahme zwar intern rechtlich abgesichert haben wollen, beim Londoner Spital aber offenbar keine Erlaubnis einholten, den Trickanruf zu senden.  Endgültige Beurteilungen sind verfrüht.  Die Untersuchung wird herauszufinden versuchen, wer auf allen Seiten in welcher Weise beteiligt war, und ob andere Gründe bei Jacinthas mutmasslichen Selbstmord eine Rolle gespielt haben.

Mich persönlich hat Jacinthas Tod sehr traurig gemacht und ein grundlegende Unbehagen an die Oberfläche geschwemmt:  Ich mag Trickanrufe grundsätzlich nicht, ebensowenig Spiele mit versteckter Kamera.  Natürlich habe auch ich in jüngeren Jahren darüber gelacht, wie Leute unter den absurdesten Umständen hereingelegt wurden. Aber je länger ich im Mediengeschäft bin — und das sind mittlerweile 31 Jahre — desto weniger legitim finde ich es, so leichtfertig mit der Gutgläubigkeit und Hilfsbereitschaft von Mitmenschen   umzugehen, um auf möglichst billige Art Sendezeit zu füllen.  Wer auf solche Tricks hereinfällt, ist anderen Menschen gegenüber oft nicht besonders zynisch eingestellt.  Ich finde das eine eher  erfrischende Eigenschaft in einer Zeit, in der manchen oft nur der absolute Zynismus bleibt, angesichts des weitverbreiteten Verlusts von Vertrauen in alle möglichen Autoritäten und Berufsgruppen.

Jacinthas Familie — Ehemann Benedict, der 16-jährige Sohn und die 14-jährige Tochter — versuchen seit letzter Woche das Unbegreifliche zu begreifen.  Sie sind katholisch und gläubig, und Benedict möchte seine Frau nach Shirva zurückbringen, damit sie in der regelmässig besuchten Heimat ihre Ruhe findet.

Copyright 2012 Peter Miles

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Britisches Steuerloch & die Schweiz

Was haben die Formulare, die mir meine Schweizer Bank vor ein paar Wochen geschickt hat, mit Grossbritanniens Wirtschaftskrise zu tun? Als Privatkunde der Bank war mir die Antwort bereits klar, aber gestern Mittwoch (5.12.2012) hat der Britische Schatzkanzler George Osborne bei der Vorstellung seines Zwischenbudgets die Konsequenzen meiner Unterschrift oder deren Verweigerung für den Britischen Staatshaushalt in aller Klarheit öffentlich ausformuliert.

Als Teil ihrer Bemühungen, Steuerhinterzieher und Steuervermeider zur Rechenschaft zu ziehen, erwartet London in Zukunft Milliarden von Pfund aus der Schweiz. Dies in Form der Abgeltungssteuer, die im Steuerbakommen zwischen der Schweiz und Grossbritannien , das am 1.1.2013 in Kraft tritt, vorgesehen ist, und die auf nicht-deklarierten Schweizer Guthaben erhoben wird, die in Grossbritannien der Einkommenssteuer unterliegen.

Osborne erklärte dem Unterhaus, er erwarte, dass im Verlauf der kommenden 6 Jahre rund 5,3 Milliarden Pfund (fast Fr.8 Milliarden oder 6,5 Milliarden Euro) aus der Schweiz Richtung Grossbritannien fliessen würden. Er bezeichnete die Vereinbarung mit der Schweiz als „das bedeutendste Steuerhinterziehungsabkommen der Britischen Geschichte“ sowie als einen entscheidenden Schritt im Kampf gegen Steuerhinterziehung in Grossbritannien. Heute morgen erwähnte er die Schweiz in einem Interview mit dem BBC-Radiosender 5Live noch einmal ausdrücklich und sagte, er erhoffe sich bereits für 2013 Einnahmen von rund 3,5 Milliarden Pfund in Form von Abgeltungssteuern.

Britische Finanzexperten bezeichnen den von der Schweiz erwarteten Betrag als enorm und überwältigend. Man wundere sich in diesem Zusammenhang, wieviel Geld wohl in anderen Steueroasen versteckt liege. Bleibt abzuwarten, ob ein Teil des Geldes, das in Schweiz liegt, nun abgezogen oder verschoben wird. Die Britischen Behören gehen ausserdem davon aus, dass die Inhaber von Schweizer Konti in den meisten Fällen ohenhin nicht namentluch identifiziert werden können.

Und nun sitze ich vor den Formularen meiner Schweizer Bank, die ich bis Ende Jahr zurückschicken muss, wenn ich will. Ich bin ein Heimweh-Berner und habe mein Konto nicht zum Hinterziehen von Steuern behalten, sondern wegen meiner engen Beziehung zur Schweiz, und weil ich irgendwann zurückkehren möchte. Ich habe 3 Optionen.

Die erste Möglichkeit ist, gar nichts zu tun. In diesem Fall werden mir um den 31.Mai 2013 herum, je nach Höhe des Kontostands, zwischen 21% und 41% meines Guthabens abgezogen und an die Briten überwiesen. In diesem Fall würde ich für die Briten anonym bleiben. In Zukunft würde mir dann jedes Jahr ein Abzug gemacht, und zwar 48% auf Sparzinsen, 40% auf Erträgen aus Dividen, 27% auf Veräusserungserträgen und 48% auf allen anderen Arten von Einkommen.

Die zweite Möglichkeit ist, zwei verschiedene Formulare zu unterschreiben. Mit dem einen bestätige ich, dass ich meiner Steuerpflicht in Grossbritannien nachgekommen bin und meiner Bank erlaube, den Briten u.a. folgenden Angaben mitzuteilen: meinen Kontostand zum Ende jedes Jahres bis zurück zum 31.12.2002, meinen Namen, mein Geburtsdatum, meine Wohnadresse, Angaben zu meiner Bank sowie Details meines Kontos, wie etwa Nummer, IBAN usw… Mit Unterzeichnung des zweiten Formulars erlaube ich meiner Bank, den Briten in Zukunft ebenfalls alle diese Angaben zu übermitteln.

Die dritte Möglichkeit ist eine Art Zwischenlösung für den Fall, dass ich mein Schweizer Konto in Grossbritannien bisher nicht verteuert hätte: Ich erlaube meiner Bank, den Briten alle Angaben für die letzten 10 Jahre und alle zukünftige Details mitzuteilen, zeige mich aber reumütig bei den Britischen Steuerbehörden selbst an, und mache von einer Amnestie Gebrauch. So müsste ich für die vergangenen 10 Jahre Steuern nachzahlen, würde aber nicht bestraft.

Nun ist das ja alles schön und gut, und ich werde mich nach wie vor an die hiesige Steuerpflicht halten. Nur habe ich in Osbornes Erklärung vergeblich nach Massnahmen gegen Steuervermeidungsmethoden gesucht, die wenig oder nichts mit dem Ausland zu tun haben, mit denen aber besonders Unterhaltungs- und Sportgrössen völlig legal Milllionen vor dem Fiskus retten können, weil sie es sich leisten können, komplizierte Geschäftskonstrultionen in Auftrag zu geben, die dem Normalbürger kaum offenstehen und in der Öffentlichkeit als moralisch verwerflich beurteilt werden.

In einem solchen Fall, der vor einigen Monaten ans Licht kam, flossen Verdienst und Gagen von Stars in einen Treuhandfonds auf der Kanalinsel Jersey. Dieser Fonds gewährte den Einzahlenden dann zinslose oder fast zinslose Darlehen, „vergass“, diese zurückzufordern und schrieb die Verluste schliesslich gegen die Einnahmen ab. Dies alles spielt sich mit Hilfe eines Offshore-Gebietes ab, das zwar nicht zum Vereinigten Königreich gehört, trotzdem aber der Britischen Krone untersteht und damit engestens mit Grossbritannien verbunden ist. Sogar Premierminister David Cameron fand das Ganze nicht in Ordnung. Die Britischen Steuerbehörden sind nun zwar daran, zu untersuchen, wie legal dies ist.  Nur: Wenn ein Loch gestopft wird, gehen gleich wieder neue auf, und ohne eine Art strenges internes „Steuerabkommen“ wird dies wohl immer wieder möglich sein.

Und ich darf nicht vergessen, die ausgefüllten Formulare für meine Bank zur Post zu bringen.

Copyright 2012 Peter Miles

 

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Zankapfel Pressegesetz

Gestern Donnerstag (29.11.12) um 1330 Uhr war es soweit: Richter Brian Leveson, offiziell Lord Justice Leveson, stellte das Ergebnis seiner fast einjährigen Untersuchung über den Abhörskandal um die News of The World von 2011 vor, samt Empfehlungen für eine bessere Regulierung der Presse. Während man sich im Lande über den Grossteil der im fast 2’ooo Seiten starken Werk enthaltenen Schlussfolgerungen und Vorschläge einig ist, hat jene Empfehlung, die erst auf Seite 1670 eingeleitet wird, bereits einen riesigen politischen Krach ausgelöst, nämlich der Vorschlag, dass ein neues Presse-Überwachungsorgan gesetzlich abgesichert sein soll.

Auf der einen Seite stehen der konservative Premierminister David Cameron und die konservativ/rechtsgerichtete Presse, auf der anderen die oppositionelle Labour-Partei, Cameron“s liberaldemokratische Koalitionspartner, die linke/linksliberale Presse sowie die Opfer von Pressemissbrauch. Dieser Zwist führte am Donnerstagnachmittag dazu, dass Cameron und sein liberaldemokratischer Vize, Nick Clegg, im Unterhaus separate Stellungnahmen zum Bericht abgaben — eine Premiere seit die Koalition vor zweieinhalb Jahren gebildet wurde.

Der Zankapfel ist der: In Grossbritannien gibt es bisher kein einziges Gesetz, das sich auf die Presse bezieht — nicht einmal eines, das die Pressefreiheit garantiert. Eine geschriebene Verfassung gibt es hier nicht — für eine Demokratie eher eine Seltenheit.

Die Befürworter eines Pressegesetztes argumentieren, dass bisherige Modelle der Selbstregulierung immer wieder versagt haben, zuletzt die Press Complaints Commission (PCC), ein Organ, in dem sich Chefredakteure gegenseitig hätten kontrollieren sollen, dies aber — wie Leveson kritisert — nicht genügend getan hätten. Es sei, so der Richter, als hätte man seine eigenen Hausaufgaben benotet.

Die Gegner hingegen meinen, Leveson’s Empfehlung, ein neues, wiederum selbstreguliertes, aber von Zeitungen und Politikern unabhängiges Organ einzusetzen, genüge, ohne den Vorschlag einer gesetzlichen Absicherung anzunehmen. Cameron und seine Anhänger argumentieren so: wenn man ein Gesetz verabschiede, das nur irgendeinen Aspekt der Presseregulierung beinhalte, habe man den Rubikon überschritten, habe man einen gefährichen Weg eingeschlagen und es gebe kein Zurück mehr.

Leveson schlägt lediglich vor, dass die Einsetzung, Funtionsweise und Aufgaben eines neuen Organs gesetzlich festgelegt würden, und keinesfalls eine eigentliche Überwachung der Presse. Er sagt sogar, das Gesetz könnte ausdrücklich die Pressefreiheit garantieren — etwas, das zum Beispiel in der Schweizerischen Bundesverfassung oder dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland festgeschrieben ist.

Cameron und seine Anhänger meinen aber, dass ein Gesetz, wenn es einmal besteht, zukünftig abgeändert werden könnte, zum Beispiel um die Pressefreiheit einzuschränken. Darüber kann man sich tatsächlich Gedanken machen, nur sehe ich diese Gefahr bei einer gesetzlichen Verankerung, so wie sie Leveson vorschlägt, nicht. Der Verdacht liegt nahe, dass sich Cameron die Ünterstützung seiner Freunde in der überwiegend konservativen Britischen Presse nicht verscherzen will. Auf die Einzelheiten, wie die Überwachungsbehörde genau funktioneren würde, will ich hier nicht eingehen. Bleibt nur anzumerken, dass das Überwachungsorgan für die elektronischen Medien, Ofcom, eine gesetzliche Grundlage hat. Nur sind Radio und Fernsehen im Gegensatz zur Presse eben verpflichtet, ausgewogen zu sein. Und diese Freiheit der Presse will Cameron so hochhalten, dass er sie nicht einmal gesetzlich verankert sehen will.

Wenn das Ganze jetzt zu einem politischen Speilball wird, könnten Levesons gemässigte und konstruktive Empfehlungen, welche übrigens nicht bindend sind, auf die lange Bank geschoben werden und verpuffen. Würde das Parlament heute über die Einführung einer gesetzlichen Grundlage abstimmen, würde Cameron wohl verlieren, gegen die Stimmen der  Labour-Partei, der Liberaldemokraten und jene von mehr als 40 seiner eigenen Parteifreunde.

Copyright 2012 Peter Miles

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Ist die BBC am Implodieren?


Nach ein paar hektischen Tagen, in denen sich die Ereignisse in der BBC und um sie herum regelrecht überschlugen, stellen sich manche die Frage, ob der renommierte öffentlich-rechtliche Sender am Implodieren ist. 

Als Institution ist es die BBC nicht, hingegen wird ihre komplizierte, schwerfällige und oft undurchsichtige Management-Struktur, der ein Teil der Fehlleistungen angelastet werden muss, die jüngste Krise kaum überleben. 

Zur Erinnerung:  Im November 2011 sagte die TV-Sendung Newsnight auf BBC2 einen geplanten Bericht über Vorwürfe sexueller Belästigung von Minderjährigen und Kindern durch den verstorbenen BBC-Star-Moderator Jimmy Savile ab.  Im Oktober 2012 sendete dann der Privatsender ITV eine Sendung mit ähnlichen Vorwürfen, was die Frage aufwarf, ob Newsnight seinen Beitrag unterdrückt hatte, weil im Dezember 2011 im BBC-Weihnachtsprogramm Spezialsendungen über Savile geplant waren (und dann auch ausgestrahlt wurden).  Am 2.November nun sendete Newsnight einen Beitrag mit Kindsmissbrauchs-Vorwürfen gegen einen nicht namentlich identifizierten hochrangigen konservativen Politiker der Thatcher-Ära.  Sogleich begann die Gerüchteküche im Internet zu brodeln, und der in Blogs und Tweets genannte Lord Alistair McAlpine wies öffentlich die gegen ihn gerichteten Anschuldigungen ab. Nun droht er mit rechtlichen Schritten.  Newsnight hatte weder dem im Beitrag interviewten Mann, der als Heimkind schwer missbarucht worden war, ein Foto des von ihm inoffiziell Identifizierten gezeigt, noch eine Stellungnahme von Lord McAlpine eingeholt.  Ein paar Tage nach der Sendung wurde dem Interviewten von anderer Seite ein Foto von McAlpine gezeigt, worauf dieser reumütig beteuerte, der Lord sei nun doch nicht sein Peiniger gewesen. Der Beitrag wurde rundherum als Schlamperei bezeichnet, und am 10.November trat der neue BBC-Generaldirektor George Entwistle nach nur 54 Tagen im Amt zurück.

Ein übers letzte Wochenende vom Chef von BBC Scotland, Ken MacQuarrie, blitzschnell verfasster Bericht hat nämlich riesige Schwächen im Management-Apparat der BBC indentifiziert. Seine Untersuchung ist nur eine von vielen, die im Zusammenhang mit der Savile-Affäre, nicht nur bei der BBC, durchgeführt werden.

MacQuarrie's Bericht, der erst nach abgeschlossenen internen Disziplinarverfahren in vollem Umfang veröffentlicht werden soll, kam zu folgenden Schlüssen:  Weil Newsnight-Chef Peter Rippon wegen der Untersuchung der Gründe, warum der Beitrag vom November 2011 fallengelassen wurde, suspendiert wurde, und eine seiner Stellvertreterinnen die BBC inzwischen verlassen hat, sei die Management-Struktur der Sendung entscheidend geschwächt gewesen.  Rippon wurde nach seiner Suspendierung interimistisch ersetzt.  Wegen derselben Untersuchung, die auf Wunsch der BBC vom ehemaligen Sky-News-Chef Nick Pollard durchgeführt wird, hatten sich Nachrichtenchefin Helen Boaden und ihr Stellvertreter Steve Mitchell von der Verantwortung für alle zukünftigen Savile-verwandten Beiträge entbinden lassen, nicht aber vom sonstigen Nachrichtenbetrieb.  Für Savile-verwandte Themen wurden interimistisch andere BBC-Leute abkommandiert.

Fazit:  Es gab de facto 2 separate Nachrichten-Management-Strukturen, eine für Savile-verwandte Themen und eine für alle übrigen. Laut MacQuarrie waren sich die Produzenten des zweiten Newsnight-Beitrags, der zu den falschen Anschuldigungen gegen Lord McAlpine führte, bis zuletzt nicht sicher, ob für ihre überstürzte Recherche nun die Savile- oder die nicht-Savile-Hierarchie zuständig war.  Inzwischen waren der BBC wegen all der Suspendierungen und Abkommandierungen sämtliche erfahrenen Manager ausgegangen, und es kam soweit, dass man den Chef von BBC-Northern Ireland, Peter Johnston, in den Entscheid, ob der fatale Beitrag gesendet werden sollte, mit einbezog. Ob er das allerletzte Wort hatte, ist noch nicht klar.  Weil inzwischen nun auch Boaden und Mitchell suspendiert wurden, sitzen überall an den entscheidenden Stellen Manager, welche von sonstwo abkommandiert wurden und interimistsich eingesgetzt sind.

Selbst der Posten des Generaldirektors ist seit dem Wochenende intermistisch besetzt, nämlich durch den Chef Audio und Musik, Tim Davie.  Davie hat keine journalistische Erfahrung, was insofern problematisch ist, als der Generaldirektor der BBC gleichzeitig CEO und Chefredaktor ist.  Davie, der früher einmal bei PepsiCo Grossbitannien fürs Marketing zuständig war, hat allerdings die Schwächen der Managament-Struktur sogleich erkannt und diese -- zumindest vorläufig -- vereinfacht.  Ein grosses Problem bei der BBC ist die übermässige Hierarchisierung.  Das führt etwa dazu, dass die Informationschefin, auch wenn sie diesen Titel trägt, oft nicht genau weiss, was ihre Untergebenen treiben.  Ausserdem wird sehr viel an die Leiter einzelner Sendungen delegiert.  Das mag auch teilweise erklären, weshalb Generaldirektor Entwistle bei seiner Befragung durch eine parlamentarische Kommission und in Interviews zugeben musste, dass alles, was schliesslich zum Skandal führte, schlicht an ihm vorbei ging.  Allerdings fragte er nach eigenen Abgaben auch nie selbst nach. 

Bleibt zu hoffen, dass Tim Davie oder sein/e Nachfolger/in mit der Vereinfachung des Management weiterfährt, um die BBC nicht jenen zu überlassen, die der angesehene Newsnight-Moderator Jeremy Paxman treffend als Sesselkleber identifiziert hat.

Als ehemaliger BBC-Mitarbeiter erinnere ich mich nur allzu gut an die strikte Hierarchie.  Ein Beispiel:  Im Team, dem ich zuletzt  im Newsroom von BBC World Service Radio vorstand, gab es Mitarbeiter in 4 Lohnklassen:  Broadcast Journalists ("gewöhnliche" Journalisten,  Senior Broadcast Journalists (erfahrenere Journalisten), Duty Editors (Journalisten mit noch etwas mehr Erfahrung, welche die Arbeit der anderen überprüfen durften), und einen Team Leader oder eine Team Leiterin.  Das allein verwundert vielleicht nicht.  Eher ungewöhnlich mag die Tatsache erscheinen, dass man sich für jede dieser Lohnklassen bewerben musste, und nicht aufgrund seiner Erfahrung oder einer guten Qualifikation in die höhere Lohnklasse nachrückte. Im Bewerbungsgespräch (vorausgestzt, man hatte es in die engere Auswahl geschafft, denn es gab jeweils nur eine beschränkte Anzahl "Jobs") sass man 3 Befragern gegenüber, welche ihr Urteil ausschliesslich auf die Leistung im Gespräch abstützen und die bisherige Arbeit der Bewerber nicht in Betracht ziehen durften.  So besteht die Gefahr, dass jene bevorteilt sind, die sich gut verkaufen können, und nicht immer die Bestqualifizierten.

Copyright 2012 Peter Miles

 

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